Die Gründe, warum Menschen aus ihrer Heimat fliehen, sind strukturell und vielfältig

Foto1: Aira_pixelio.de, Foto2: Initiative_Echte_Soziale_Marktwirtschaft_ISEM

Kein Mensch flieht freiwillig

Die Ursachen der massenhaften Flucht sind strukturell begründet und haben auch mit unserem Lebensstil zu tun – Was bewirkt der Faire Handel?

Warum verlassen so viele Menschen ihre Heimat? Diese Frage stellt sich uns spätestens seitdem in den vergangenen Wochen massenhaft Flüchtende nach Europa kommen. Natürlich steht in erster Linie die Hilfe für diese Menschen, die unglaubliche Strapazen hinter sich haben, im Vordergrund. Doch die Fragen nach dem „Warum? und Wovor fliehen sie“ darf nicht ausgeblendet werden. 

Die Bilder, die uns tagtäglich erreichen, sind erschütternd und die scheinbare Hilflosigkeit von Politikern aus der EU erscheint tragisch zugleich. Hilfsorganisationen und NROs tun ihr Bestes, um den Menschen in Not zu helfen. Doch das ist nur die eine Seite. Wir müssen uns fragen, was hinter dieser Massenflucht steckt und was wir – auch im Fairen Handel – dazu beitragen können, dass das Leben in den Herkunftsländern wieder lebenswert wird.

Waffenexporte stoppen

Die Menschen aus dem Süd Sudan, Afghanistan, Eritrea und dem Kongo fliehen ebenso vor blutigen Kriegen und der Gewalt von herrschenden Despoten wie die aus Syrien und dem Irak. Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe (BfdW) hat in ihrem Blog (http://info.brot-fuer-die-welt.de/blog/fluchtursachen-bekaempfen-nicht-fluechtlinge ) zur derzeitigen Flüchtlingssituation gesagt: „Ob ein gewaltsamer Konflikt ausbricht – das hängt daran, ob früh genug Wille und Knowhow zum friedlichen Konfliktaustrag gefördert werden: Dialoge zwischen den Kontrahenten, zwischen Religionen und Ethnien, die gerne für Machtkämpfe instrumentalisiert werden, ebenso wie Erziehung zu Toleranz, Demokratie und Achtung der Menschenrechte.“
Genauso müssten Waffenexporte in diese Regionen konsequent verboten werden. „Die meisten Zivilisten werden durch Kleinwaffen getötet – jede dritte stammt aus deutscher Produktion. Wer etwas gegen die Ursachen der steigenden Flüchtlingszahlen tun will, muss hier gegensteuern“, so Füllkrug-Weitzel. 

Die Verantwortlichen schauen nur zu

„Es ist unverständlich, dass die Staaten nicht bereit sind, eine politische Lösung herbei zu führen. Stattdessen schauen die Verantwortlichen zu, wie Millionen von Menschen in der Flucht ihre einzige Hoffnung sehen. Diese Verantwortungslosigkeit ist unfassbar“, so Mike Corsa, Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend Deutschland (aej).

Eine andere Wirtschaftspolitik ist dringend nötig

Pater Wolfgang Schonecke vom Netzwerk Afrika Deutschland, fasst es so zusammen: „Unfaire Handelsabkommen zerstören die Existenzgrundlage einheimischer Produzenten. Internationale Konzerne plündern die Ressourcen Afrikas ohne einen nennenswerten Nutzen für die lokale Bevölkerung. Mehr finanzielle Entwicklungshilfe, von der die Geberländer oft mehr profitieren als die Empfänger, kann keine adäquate Antwort sein. Notwendig ist eine andere Handels- und Wirtschaftspolitik. Den Ländern Afrikas muss geholfen werden, die Produktivität der kleinbäuerlichen Landwirtschaft zu steigern, lokale und regionale Märkte zu entwickeln und Rohstoffe selbst zu verarbeiten.“ Er führt unter anderem den Export von hoch subventionierten Agrarprodukten als einen der Gründe auf.

Fehlende Bildung, Ausbeutung und Ungerechtigkeit nehmen Lebensgrundlage

Dumpingpreise ruinieren lokale Produzenten, die damit nicht konkurrieren können und vom Markt verdrängt werden. Die Plünderung der reichen Ressourcen Afrikas, wie Mineralien, Erdöl, Gas oder Holz durch die westlichen Industriestaaten und mittlerweile auch durch Schwellenländer entzieht den Menschen die Lebensgrundlage. Armut und fehlende Bildung, auch durch Kinderarbeit, lässt keine Chance, den Kreislauf zu durchbrechen, der von Ausbeutung, sozialer Ungerechtigkeit und Konflikten geprägt ist.

„Wir müssen unseren Lebensstil ändern!“

„Globale Unternehmen sichern Wohlstand und billige Waren für uns heutzutage in Europa – schaffen aber gleichzeitig Fluchtursachen für morgen. Wenn wir zur Änderung unseres Lebensstils, zu fairen Preisen für unsere Kleidung und Handys bereit wären, könnten viele Menschen ein nachhaltiges Auskommen in ihrer Heimat finden. Wenn die Bemühungen der Vereinten Nationen, globales wirtschaftliches Handeln an die Einhaltung der Arbeits- und Menschenrechte zu binden, auch mit Deutschlands aktiver Mitwirkung erfolgreich wären, bräuchten viele nicht zu fliehen. Und wir bräuchten nicht mehr von Wirtschaftsflüchtlingen im Sinne von Flüchtlingen aufgrund unserer Wirtschaftspolitik reden“, so Cornelia Füllkrug-Weitzel.

Fairer Handel kann dem entgegenwirken

 

Und genau da setzt der Faire Handel an. Einige wenige Unternehmen kontrollieren weltweit die Produktion und Vermarktung von Lebensmitteln. Der Missbrauch von Nachfragemacht führt zu unlauteren Handelspraktiken, sowohl im europäischen Einzelhandel als auch in den Produzentenländern und auf allen Ebenen der landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten. Dies hat in vielen Fällen schwerwiegende Auswirkungen auf Kleinbauern und Arbeiter insbesondere am Anfang der Lieferkette: Die Folgen sind unsichere Lebensgrundlagen, Kinderarbeit, prekäre Anstellungsverhältnisse und Umweltzerstörung. Das europäische Wettbewerbsrecht ist nicht in der Lage, der Nachfragemacht angemessen zu begegnen und muss reformiert werden. So besagt es die Studie „Who’s got the power – Machtspiel ums Essen", die vom Fair Trade Advocacy Office, der PFCE (Plate-Forme Franchise du Commerce Equitable), Traidcraft und Fairtrade Deutschland, in Auftrag gegeben wurde.

„Für mich als Produzentin und Mitglied der Fairtrade-zertifizierten Kaffeeorganisation Comsa ist die Beteiligung am Fairen Handel eine große Chance. Wir bekommen nicht nur einen besseren Preis für unseren Kaffee, sondern können durch den Fairen Handel auch wachsen. Dieser Handel ist menschlicher, und das sollten wir alle anerkennen“, sagte Sonia Vasquez, verantwortlich für die Produktion bei Comsa, anlässlich der Eröffnung der Fairen Woche 2015 in Berlin.

Minister Müller: „Faire Preise statt freier Handel!“

Ungewöhnlich deutlich hat Bundesentwicklungsminister Gerd Müller das Verhalten der Industriestaaten gegenüber Afrika kritisiert. Der CSU-Politiker sagte Mitte September im rbb-Inforadio: „Unser Wohlstand in Europa, in Deutschland begründet sich zu einem erheblichen Teil auf den wertvollen Ressourcen und der Ausbeutung dieser Ressourcen in afrikanischen Ländern.“ Und für diese Ressourcen bezahlten wir keine ordentlichen Preise, so Müller. Das sei schäbig, denn die Menschen könnten davon nicht leben. 20 Prozent der Weltbevölkerung in den Industriestaaten verbrauchten 80 Prozent der globalen Ressourcen. Der Großteil davon stamme aus Entwicklungsländern, im Falle der EU aus Afrika. Es werde keine Entwicklung in den afrikanischen Ländern geben ohne dass Europa auch faire Preise dafür zahle, so Müller. Entwicklungsländer brauchten faire Handelsbeziehungen, nicht freie Märkte. Müller sagte wörtlich: „Freier Markt heißt das Recht des Stärkeren. Haben wir als Europäer und Deutsche das Recht, afrikanische Staaten auszubeuten?“(tagesschau.de, 11.9.2015)

„Weg vom wachstumsorientierten Wirtschaftsdenken“

Noch klarer sagt es Pater Wolfgang Schonecke: „Wir appellieren, eine Reflexion über die wirtschaftlichen Ursachen von Migration, die langfristigen sozialen und ökologischen Folgen einer rein profit- und wachstumsorientierten Wirtschaft und die notwendige Transformation unseres Wirtschaftssystems anzustoßen. Ein erster Schritt könnte sein, die geplanten Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) konsequent umzusetzen und zu Leitprinzipien für Politikentscheidungen auf nationaler und auf europäischer Ebene zu machen. Wenn wir nicht kohärentere globale Rahmenbedingungen schaffen, die Entwicklungschancen für alle möglich machen, die skandalösen Ungleichheiten reduzieren und die die natürlichen Ressourcen für zukünftige Generationen bewahren, werden weitere Wellen von Flüchtlingen über das Mittelmeer nach Europa kommen.“

Der Faire Handel ist eines der Mittel, diese Entwicklungschancen zu ermöglichen.

Gundis Jansen-Garz, Redaktion Welt&Handel

 

Weitere Informationen:

http://www.misereor.de/blog/2015/09/10/interview-mit-aminu-munkaila/

http://www.misereor.de/blog/2015/08/11/die-strukturellen-migrationsursachen-angehen/

http://www.tagesschau.de/inland/mueller-ausbeutung-afrika-101.html

https://www.forum-fairer-handel.de/fileadmin/user_upload/dateien/publikationen/andere_publikationen/studie_wer_hat_die_macht_langfassung.pdf

http://info.brot-fuer-die-welt.de/blog/fluchtursachen-bekaempfen-nicht-fluechtlinge

http://www.sternsinger.org/fileadmin/upload/Themen/Flucht/Dossier_Flucht.pdf

 

 


Kommentare zu diesem Artikel

Keine Kommentare
Kommentar hinzufügen

* - Pflichtfeld