Fairer Handel in Europa

Unterschiedliche Strukturen führen zu verschiedenen Ansätzen und Umsätzen – politische Lobbyarbeit wichtiger denn je

Die Schweiz ist unangefochten an Nummer eins, wenn es um den Pro-Kopf-Anteil an fair gehandelten Produkten geht. Auch die Brit*innen kaufen um ein Vielfaches mehr als die deutschen Verbraucher*innen. Warum ist das so? Und wo gibt es Gemeinsamkeiten? Welche Unterschiede sind da, wenn es um Bildungsarbeit im Fairen Handel geht? Und wie funktioniert Lobbyarbeit für den Fairen Handel in der EU? Welt&Handel hat sich umgehört und einige interessante Aspekte herausgefunden.

Absoluter Spitzenreiter, was die Ausgaben in Euro für Fairtrade-Produkte pro Kopf in den einzelnen Ländern angeht, ist die Schweiz mit 72 Euro im Jahr 2017. Beim Gesamtwert der im Land verkauften Fairtrade-Produkte ist Großbritannien mit seinen knapp 2 Milliarden Euro Umsatz Spitzenreiter. Die Schweiz ist mit 95 Prozent Marktanteil bei Rohrzucker und 54 Prozent bei Bananen derzeit nicht zu übertreffen. Auch ist der Marktanteil von Fairtrade-Kaffee mit 10 Prozent beachtlich (Vergleich Deutschland: 4,1 Prozent). Doch die Voraussetzungen in den jeweiligen Ländern sind völlig unterschiedlich. Die Schweiz gilt als „innovativer Fairtrade-Markt“. Die Supermarktkette Coop hat beispielsweise ihr gesamtes Bananen-Sortiment auf Fairtrade-Bananen umgestellt. So lässt sich unter anderem der Marktanteil mit mehr 50 Prozent erklären. In Deutschland hat das Fairtrade Siegel zwar eine große Bekanntheit und das Bewusstsein für nachhaltigen Konsum steigt, trotzdem bestimmen Kostenvorteile das Handeln von Konsument*innen und dem Lebensmitteleinzelhandel. Die Qualität der Nahrungsmittel steht dabei nicht an erster Stelle. Mehr als 90 Prozent der Deutschen kaufen gelegentlich oder regelmäßig im Discount ein. Deshalb hat Fairtrade die Chance genutzt und ist dort hingegangen, wo die Menschen einkaufen – in Discount-Ketten wie Lidl, Aldi, Penny und Netto. Die Gründe für diesen länderspezifischen  Unterschied haben Soziologen der Universität Zürich gemeinsam mit dem Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt erhoben. Sie befragten dazu 3.900 Einwohner*innen der Stadt Zürich und der Stadt Köln und analysierten in diesen Städten die Kaufgelegenheiten für Fairtrade-Produkte: Schweizer sind von fair gehandelten Produkten moralisch stärker überzeugt als Deutsche, außerdem ist in der Schweiz das Verkaufsangebot größer. Hingegen spielt die unterschiedliche Kaufkraft zwischen Schweizern und Deutschen keine Rolle.

Ein Vergleich mit Österreich und den Niederlanden

In Österreich geben Konsument*innen nur noch rund 10 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Beim Lebensmitteleinkauf wird dabei sehr stark auf den Preis geachtet. Das macht es für die Hersteller und den Handel schwer, Aufpreise für ökologische oder soziale Maßnahmen unterzubringen. In Großbritannien sind die Fairtrade- Kampagnen Fairtrade-Towns, Fairtrade-Schools und Fairtrade-Universities am erfolgreichsten. Eine große Mobilisierung der Zivilbevölkerung und das Engagement politischer Gemeinden führen dazu, dass der Faire Handel fest in der Gesellschaft verankert ist. Aber auch in Deutschland wächst das Engagement in der Zivilbevölkerung stetig an: Über 540 Fairtrade-Towns, 500 Fairtrade-Schools und rund 20 Fairtrade-Universities setzen sich für den Fairen Handel ein. In den Niederlanden wurde 1988 zur Einführung des Fairtrade-Siegels die erste nationale Fairtrade-Organisation gegründet. Seitdem ist die niederländische Fairtrade-Szene sehr stark. Hier hat z.B. die Supermarktkette PLUS ihr gesamtes Bananen- und Ananas-Sortiment auf Fairtrade umgestellt. Billig-Bananen bietet sie nicht mehr an. Deutschland führt, was den Fairtrade-Marktanteil an verkauften Blumen angeht mit 28 Prozent. Auch sind 73 Prozent der Fairtrade-Produkte auf dem deutschen Markt Bio-zertifiziert. Bei Bananen sind es sogar 100 Prozent, bei Kaffee tragen 77 Prozent des Fairtrade- Kaffees zusätzlich das Bio-Siegel.  

Faire Initiativen in Europa: Europäische Hauptstadt des Fairen Handels

Mit dem EU Cities for Fair and Ethical Trade Award ehrt die Europäische Kommission seit diesem Jahr Städte, die sich für mehr Nachhaltigkeit im internationalen Handel einsetzen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf fairen und ethischen Handelsmodellen sowie auf zivilgesellschaftlichen Ansätzen, die Kleinbäuer*innen außerhalb der EU im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung fördern. 19 europäische Städte hatten sich in diesem Jahr um den Titel „Europäische Stadt des Fairen und ethischen Handels“ beworben. Auf der Shortlist landeten schließlich Lyon, Malmö, Gent, Madrid und Vitoria-Gasteiz, Saarbrücken und Dortmund. Am 27. Juni gab die Jury ihre Wahl bekannt: Gent wird als erste Stadt mit dem EU Cities for Fairand Ethical Trade Award geehrt. Vorbild für den Preis ist der Wettbewerb „Hauptstadt des Fairen Handels“, den die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt alle zwei Jahre vergibt.

Die Zusammenarbeit der europäischen Fairhandelsorganisationen

Die European Fair Trade Association (EFTA) ist ein Zusammenschluss von zehn Fairhandels-Importeuren aus neun europäischen Ländern (Belgien, Deutschland, England, Frankreich, Italien, Niederlande, Österreich, Schweiz, Spanien) und wurde 1990 gegründet. Einziges deutsches EFTA-Mitglied ist die GEPA. Erklärtes Hauptziel der EFTA ist die Harmonisierung und Koordination von Fair-Handels-Aktivitäten, um so den Fairen Handel effizienter zu gestalten. Aus diesem Grund organisiert die EFTA beispielsweise regelmäßige themenspezifische Treffen für ihre Mitglieder, damit der kontinuierliche Informationsaustausch gefördert wird. Außerdem gibt es eine Arbeitsteilung der EFTA-Mitgliedsorganisationen. Man hat sich auf gemeinsame Standards und Richtlinien für den Import und die Betreuung der Handelspartner geeinigt. Die EFTA hat zudem ein eigenes Monitoringsystem für seine Handelspartner entwickelt. „Wir sind jetzt in einer totalen Umbruchphase“, sagt Hildegard Fuchs von der GEPA. Mit dem Weggang der langjährigen Managerin, Marlike Kocken, zum Ende dieses Jahres müssen sich die Mitglieder nun erst einmal neu sortieren. Es sind auch nur kleine Sequenzen, in denen eine Zusammenarbeit möglich ist. So kann ein EFTAMitglied für die anderen Mitglieder Waren importieren. „Das macht auch Sinn, denn jede Importorganisation hat andere Schwerpunkte. Wir schauen dann schon, wo es Stärken und Schwächen gibt. In der letzten Zeit trafen wir uns regelmäßig zum Erfahrungsaustausch; jedoch planen wir, darüber hinaus noch mehr Kooperationen und konkrete Zusammenarbeit anzugehen. Dazu wurden bereits so genannte working groups eingerichtet“, erklärt Desniwati, ebenfalls GEPA. „Es gibt immer wieder Berührungspunkte, an denen wir uns gegenseitig helfen, aber trotz des guten Verhältnisses, das wir untereinander haben, bleiben wir Wettbewerber und jede Organisation will und muss wirtschaftlich denken und handeln.“ Ein gemeinsames Produkt auf europäischer Ebene ist schwierig in der Umsetzung, aber darüber wurde auch schon nachgedacht. „Da ist was auf dem Weg.“

Handel für Alle?

Unternehmen neue Märkte öffnen und ein günstiges Klima für Investition schaffen – das ist bislang das vorrangige Ziel von europäischer und internationaler Handelspolitik. Auf der Strecke bleiben dabei oft soziale Standards, Umweltschutz und Menschenrechte. Auch die neue Handelsstrategie der EU unter dem Motto „Handel für Alle“ zielt vor allem darauf ab, die Wettbewerbsfähigkeit und die Gewinnaussichten europäischer Unternehmen zu verbessern. Die EU fordert von anderen Staaten möglichst uneingeschränkten Marktzugang für ihre Güter, Dienstleistungen und Investitionen, ungehinderten Zugang zu öffentlichen Aufträgen und Rohstoffen sowie mehr Schutz von Investitionen und geistigem Eigentum. Auch wenn TTIP zunächst vom Tisch ist, wurde das CETA-Abkommen verabschiedet. Ähnliche Abkommen strebt auch die EU an, ausgerechnet mit Entwicklungs- und Schwellenländern wie Argentinien, Brasilien, Paraguay, Indonesien, Indien und Mexiko (MERCOSUR-Staaten). Und mit den Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifiks hat sie sogenannte Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) ausgehandelt, gegen deren Ratifizierung sich viele afrikanische Länder allerdings noch wehren.

Ein Lobbybüro in Brüssel

Das Fair Trade Advocacy Office (FTAO) in Brüssel ist eine wichtige Plattform des Fairen Handels für die politische Arbeit auf europäischer Ebene. Der Austausch mit Abgeordneten des Europaparlaments und Vertreter*innen der EU Kommission ist von entscheidender Bedeutung, da die europäische Landwirtschafts- und  Handelspolitik oft sehr direkte Auswirkungen auf Kleinproduzent*innen im Süden hat. Es hat als Lobbyorganisation des Fairen Handels das klare Ziel, EURichtlinien für faire Handelspraktiken voranzubringen. Die 2004 von Fairtrade International (FI) und der World Fair Trade Organisation (WFTO) gegründete Organisation treibt somit das Anliegen der Fair-Handels-Bewegung, die Lebensgrundlagen von Produzent*innen und Arbeiter*innen zu verbessern, auf politischer Ebene in Brüssel voran. „Wir möchten ein begünstigtes Umfeld für den Fairen Handel schaffen und gemeinsame Positionen erarbeiten. Wir sind ein kleines Büro in Brüssel mit vielen Aufgaben, die wir auf unsere Mitarbeiter*innen verteilen. Es geht um Handelsgerechtigkeit und gegen ungerechte Strukturen und: Wir haben es immerhin in die Tagesschau geschafft!“, freut sich Peter Möhringer, Mitarbeiter des FTAO. Die EU-Kommission hat Anfang 2013 ein Diskussionspapier zu unfairen Handelspraktiken entlang der Lieferkette veröffentlicht. Darin benennt sie die Risiken zu unfairen Handelsbedingungen, setzt jedoch auf freiwillige Maßnahmen, vor allem auf die seit 2013 bestehende „Supply Chain Initiative“, die vor allem auf Kommunikation und Bildungsmaßnahmen zwischen den Akteuren setzt. Neben der Regulierung fordert das FTAO eine anonyme Beschwerdestelle gegen unfaire Handelspraktiken. „Dazu wurde ein Richtlinienvorschlag erstellt. Denn“, so Peter Möhringer, „viele Beschäftigte oder Produzierende klagen aus Angst vor Repressalien nicht gegen unfaire Praktiken. Bevor sie entlassen oder ihnen die Aufträge entzogen werden, machen sie lieber weiter. Das kann durch Anonymität verhindert werden.“ Ziel sei es, den "Angstfaktor" abzubauen, indem Beschwerden vertraulich behandelt werden können. Der Richtlinienvorschlag wird nun im EU-Parlament und im Ministerrat beraten und soll im Mai abgestimmt sein. Die Chancen, dass es das FTAO schafft, die EU-Kommission davon zu überzeugen, stehen zurzeit gut – wenn es im Mai klappt, hat die Lobbyarbeit des Fairen Handels in Europa einen großen Schritt nach vorne gemacht! Auch das Wettbewerbsrecht arbeitet vielfach gegen Kleinproduzent*innen indem es sich auf Endpreise für Verbraucher*innen fokussiert. „Es gibt in der EU einen beschränkten Blick auf das Konsument*innenwohl. Vorher galt das Allgemeinwohl, da wurde auch auf die Produzent*innen geachtet. Manche Länder halten den Fokus auf das Privatwohl, da sind Datenschutzrechte beispielsweise wichtig. Verschiedene Länder haben ihre eigenen Schwerpunkte, die es gilt, zusammen zu bringen.“

Warum die Europäische Union für den Fairen Handel wichtig ist?

Die Europäische Union (EU) wird in vielen Bereichen als technokratisch und weit weg von den Bürgern wahrgenommen. Die EU-Institutionen und ihre politischen und rechtlichen Befugnisse haben jedoch ein großes Potenzial zur Verwirklichung der Vision von Fair Trade. Die EU hat in ihren Mitgliedsstaaten die ausschließliche Zuständigkeit für Handelspolitik und wichtige Befugnisse in bedeutenden Politikbereichen wie Entwicklung und Binnenmarkt. Sie ist der größte Fair-Trade- Markt und der weltweit größte Anbieter von Entwicklungshilfe für Übersee. In ihren bilateralen und multilateralen Beziehungen spielt die Union eine führende Rolle bei der Festlegung globaler Politiken, die sich auf den internationalen Handel auswirken. Druck auf die politischen Entscheidungen kann per Stimmzettel ausgeübt werden. Im kommenden Jahr ist wieder Europawahl. Da sollten die Abgeordneten auf Herz und Nieren und ihre Einstellung zu Handelsabkommen, Marktmacht und Fairem Handel geprüft werden. Auch die Importorganisationen müssen sich europaweit aufstellen – die nächsten Schritte der EFTA zu mehr Kooperationen sind gut und wichtig. Und vielleicht gibt es ja bald schon einen europäischen Schokoriegel?!

Gundis Jansen-Garz



Kurz vor Drucklegung dieser Ausgabe erreichte uns die Nachricht, dass die britische Fairhandelsorganisation Traidcraft zum Ende des Jahres eingestellt wird. Robin Roth, Geschäftsführer bei Traidcraft, erklärte gegenüber Welt&Handel: „Wir können den Spagat zwischen dem billigen Fairtrade der großen Supermarktketten und unserem Fairen Handel nicht mehr schaffen. Auf Dauer ist es unrentabel.“ Neben der Konkurrenz aus den Supermärkten sei es jedoch vor allem der Brexit, der eine Wirtschaftlichkeit nicht mehr gewährleisten kann. „Direkt nach Bekanntgabe des Brexits ist das britische Pfund 18 Prozent im Wert gegenüber dem US-Dollar gesunken. Beim Euro beträgt der Wertverlust rund 16 Prozent. Bis heute hat sich das kaum geändert. Das bedeutet, dass wir mit wesentlich höheren Preisen einkaufen als zuvor. Das lässt sich nicht auf Dauer durchhalten.“ Die großen Ketten schafften das aufgrund der größeren Mengen und höheren Margen, aber ein Fairhandelsunternehmen wie Traidcraft könne dies nicht. Die hohen Umsatzzahlen bei Fairtrade in England berufen sich also in erster Linie auf die Supermärkte. „Der Faire Handel in Großbritannien hat sich dahingehend verändert. Der Brexit hat die Kaufkraft gemindert. Das spüren wir nun“, so Robin Roth. Wie es weitergeht, ist noch unklar. Robin Roth ist jedoch zuversichtlich: „Wir betrachten es als Chance. Da wir nicht insolvent sind, können wir nach der Abwicklung des wirtschaftlichen Betriebs davon ausgehen, dass noch finanzielle Mittel vorhanden sind. Damit werden wir auf einer anderen, noch ungewissen Weise, mit dem Fairen Handel in England weitermachen.“


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