Tabak könnte das "ideale" Produkt für den Fairen Handel sein. Es bietet fast alle unfairen Produktions- und Handelsbedingungen, gegen die die Bewegung seit jeher gekämpft hat. Die Tabakpflanze wird in Plantagenkulturen angebaut, die starke koloniale Strukturen aufweisen. Die wichtigsten Herkunftsländer – China, Indien, Brasilien - erzeugen auch andere klassische Waren, die den Fairen Handel bestimmen.
Die Bandbreite der Qualitäten des verarbeitenden Produktes ist immens und so sieht es auch mit den Margen aus, die die Bäuer*innen erzielen könnten, wenn sie ihre Waren verarbeiteten und vermarkten würden. Es gibt sehr edle Zigarren, mit weltweit bekannten Marken, die aus vielen unterschiedlichen Tabakblättern und unterschiedlichen Technik gewickelt werden. Aber auch wenn es mehr als 70 verschiedene Tabaksorten gibt, erfolgt der Anbau häufig in Monokulturen. Die große Mehrheit des Tabaks wird entweder lokal in der jeweils kulturellen Form geraucht, gekaut, geschnupft oder verdampft oder er geht in die Zigarettenverarbeitung.
Die Hochglanzbilder touristischer Zigarren-Wallfahrtsorte, wie Viñales auf Cuba, lenken nur davon ab, dass die Arbeitsbedingungen im Tabakanbau zu den schlechtesten überhaupt gehören. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) kommt zu den Verletzungen der Internationalen Kernarbeitsnormen und der unsachgemäßen Verwendung von Chemikalien beim Tabak die Aufnahme toxischer Stoffe der Pflanze über die Haut erschwerend hinzu. Kinderarbeit ist weit verbreitet und doppeltes Gift für junge Menschen.
Tabak ist ein (vermeintliches) Genussmittel, das ähnlich wie Kaffee oder Tee nicht überlebenswichtig ist, aber unseren Alltag geprägt und kulturell verändert hat. Man bedenke nur, wie unterschiedlich Frauen und Männer Zigaretten konsumiert haben und wie sich inzwischen das damit verbundene Image gewandelt hat. Ein aktuelles Phänomen sind die shisha Bars (hooka auf Persisch), das mit der Migration auch in Europa weit verbreitet ist. Die Überproduktion der letzten Jahrzehnte, verbunden mit starkem Preisverfall und Preisschwankungen, aber auch die Marktmacht weniger, globalisierter Großunternehmen sind weitere Parallelen zu den bekannten Ungerechtigkeiten, die die Produkte betreffen, und die der Faire Handel ins Sortiment aufgenommen hat.
Warum gibt es also keinen fairen Tabak – in welcher verarbeiteten Form auch immer – im Supermarkt mit Siegel oder im klassischen Fairen Handel? Könnte der Faire Handel einen Beitrag leisten, um Missstände im Anbau konkret zu reduzieren? Auch kleine, faire Marktanteile könnten ja einen Effekt haben, da sie vielleicht als eine Alternative zum üblichen Handel eine Wirkung entfalten. Es gibt bis heute einen Anbau von türkischem Tabak in Bulgarien, aber auch einen traditionellen Anbau in Deutschland. Aber Tabak „Made in EU“ ist ohne die jetzt auslaufenden EU-Subventionen nur in geringen Mengen machbar. Als wichtigste Begründung werden stets die gesundheitlichen Gefahren beim Konsum von Tabak benannt. Auch das Geschäft mit der Sucht von Menschen wird vielfach kritisiert und bräuchte mehr Raum für eine genauere Betrachtung, denn Rauchen gilt als die häufigste selbst herbeigeführte Todesursache.
Die Einschätzung der Kampagne unfairtobacco ist eindeutig. Die Kurzzusammenfassung der Botschaft des Projektes der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Umwelt und Entwicklung (Blue 21 e.V.) lautet: „Es kann keinen fair gehandelten Tabak geben, denn Tabakanbau schädigt die Gesundheit, zerstört die Umwelt und führt zu Menschenrechtsverletzungen.“ Sie schließt sich damit dem Motto der internationalen unfair-tobacco Initiative an: „every tobacco is unfair tobacco“.
...lautet nun aber, dass es defacto den Anbau von Tabak zur Abschaffung vorschlägt und den Arbeiter*innen und Bäuer*innen, aber auch dem damit verbundenen Gewerbe keine Alternativen innerhalb des Tabakhandels anbietet. So schlägt die deutsche Sektion dem hiesigen Konsumenten auf ihrer Website vor, stattdessen die Erdnüsse und Erdnusscreme der GEPA aus Malawi zu kaufen, weil dort Kleinbäuer*innen profitieren, die so den Ausstieg aus dem Tabakanbau schaffen. Es ist den Aktivisten aber sehr wohl klar, dass es viel umfassenderer Maßnahmen bedarf um aus Strukturen des Tabakanbaus herauszukommen, denn es gibt eine Nachfrage nach Tabak - lokal, regional und im internationalen Handel.
Für den Fairen Handel lohnt der Blick auf Produkte, die nicht für den Fairen Handel geeignet sind. Hierzu gehört nach Überzeugung mancher Akteure auch Alkohol über der Weinbrandgrenze. Auch Wasser sollte gemeinwohlorientiert von öffentlichen Unternehmen bewirtschaftet werden und freiwillige Angebote für einen fairen Privatbesitz und die Vermarktung von Grundwasser machen kaum Sinn. Ein Weltladen ist natürlich kein Kolonialwarengeschäft, sondern er muss sich als Fachgeschäft auf Produkte konzentrieren, die Fairness gewährleisten. Das heißt aber nicht, dass die Bewegung sich heraushalten sollte. Viele Produkte, die nicht „fair“ zu handeln sind, bräuchten dringend mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Sie relativieren auch den verengten Blick der Bewegung auf die klassischen Fairhandelsprodukte. Im Fall von Tabak muss die Strategie lauten, auf Basis von internationalen Vereinbarungen, wie den Beschlüssen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Politik auf die Umsetzung von Rechtsnormen und Gesetzen zu verpflichten. Hier fehlt es kaum an gesetzlichen Vorgaben. Insbesondere die Besteuerung, aber auch die Auflagen für Werbung und Konsumverbote sind komplex. Zugleich ist der illegale Handel mit Tabak unerschöpflich und eine Finanzierungsquelle des globalisierten Verbrechens. Der Blick über die Theke des Weltladens hinaus macht klar: Der Faire Handel ist ein Instrument, das häufig eine Lösung bietet – dieses Instrument passt nur nicht immer zur Herausforderung. Entscheidend für das Engagement der Bewegung sollte nicht in erster Linie das liebegewonnene Instrument des fairen Verkaufs sein, sondern das Engagement gegen Ausbeutung und unfaire Handelsbedingungen.
Die Ausstellung „Big Tobacco: Profits & Lies“ zeigt diese Zusammenhänge und kann bei Unfairtobacco ausgeliehen werden. Kontakt: www.unfairtobacco.org, info@unfairtobacco.org
Wilfried Wunden, MISEREOR